Die Seilschaft

Auf dem Gipfel wollte der Tourist vom Bergführer wissen, ob es nicht langweilig sei, ihn immer am Seil zu führen. „Lass mich überlegen…wir wollten beide das Gleiche, hinauf auf den Gipfel. Ich war schon oben, kenne die Wege und kann die Gefahren richtig einschätzen. Du freust dich an der Natur, bewunderst die Berge und schaust auf die Gletscher und ihre Spalten. Nun sind wir oben angekommen und freuen uns. Du, weil du eine unvergleichliche Reise unternommen hast, und ich, weil ich dich sicher heraufgeführt habe. Am Seil warst du nur an gefährlichen Stellen, im Tal, am Bach und wo wir den Aufstieg begannen. Das war wie ein Spaziergang, du wurdest mit der Situation vertraut und sicher am Seil konntest du dich mit mir bewegen lernen. Dann gab es die schmalen Wege und Geröllfelder, da warst du nur hin und wieder am Seil. Und endlich oben am Gipfel, da ließ ich dich ohne Sicherung gehen, sodass du mich auch überholen und alleine vorausgehen konntest. Als ich gesehen habe, wie du an den ungefährlichen Stellen sicher am Seil liefst, wollte ich dir auf dem Geröll hin und wieder eigene Erfahrung ermöglichen. Und als es gefährlich wurde, da wollte ich dich alleine laufen lassen, denn ich wusste ja, wie sicher du gehen kannst. Wir hatten es schließlich geübt. Langweilig wurde es mir nie.

(Aus: „Wie das Krokodil zum Fliegen kam“ von Ernst Reinhardt)